12. Juli 2021

Interview mit Prof. Volker Stich I Leiter Cluster Smart Logistik und Geschäftsführer FIR e.V. an der RWTH Aachen über neue Technologien, Potenziale und die Demonstrationsfabrik auf dem Campus

Herr Professor Stich, welche Rolle spielt das FIR im Projekt 5G-Industry Campus Europe (5G-ICE) zusammen mit den Partnern des Fraunhofer IPT und WZL?

Unser Job ist es, wenn eine neue Technologie und neue Potenziale auf den Markt kommen, sie für die Industrie so greifbar zu machen, dass diese sie konkret anwenden kann. Genauso ist es bei 5G. Dieser neue Mobilfunkstandard ist definitiv eine Schlüsseltechnologie. Die Kernfrage lautet: Wo stecken die zahlreichen neuen Anwendungspotenziale? Wo kann man sie anfassen, fühlen, schmecken, riechen, ausprobieren? Dieser Frage gehen wir sowohl als Projektpartner beim 5G-ICE, als auch als 5G.NRW Competence Center, einem NRW-geförderten Projekt, nach.
Als 5G.NRW Competence Center haben wir es geschafft, dass unsere Demonstrationsfabrik Aachen zur 5G-Modellfabrik avancierte. Eine Maßnahme, die von Minister Andreas Pinkwart persönlich unterstützt wird. Er hat sich vorgenommen, NRW zu einem Vorzeigestandort für 5G auszubauen. Wir sind dort zusammen mit Partnern aus Dortmund, Wuppertal, Essen und in Aachen dabei, Beispiele für 5G-Anwendungen zu erarbeiten, mittelständische Unternehmen zu uns als Kompetenzcenter einzuladen und zu zeigen, wie 5G funktioniert und was es in der Praxis bringt.
Demonstrationsfabrik Aachen

DFA

Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie?

Wir sind die Schnittstelle zwischen Industrie und Forschung. Unsere Aufgabe ist es, praxisnahe Anwendungen zu entwickeln und prototypisch umzusetzen. Dafür haben wir unsere Demonstrationsfabrik, die komplett mit 5G ausgestattet ist. Speziell das FIR, das das Cluster Smart Logistik leitet, schaut sich im Rahmen des 5G-ICE-Projekts logistische Anwendungsfälle an. Unser Fokus im Moment liegt auf autonomen Fahrsystemen. Das Fraunhofer-Institut für Porduktionstechnologie IPT und das Werkzeugmaschinenlabor WZL betrachten weitere Anwendungsfälle – etwa der Robotik und des Maschinenbaus.

Beschreiben Sie bitte die Vorteile von 5G im Produktionsalltag.

Ich brauche im Millisekunden-Bereich Rückkopplungen aus der Maschine, wenn ich in hoher Geschwindigkeit fräse, drehe, bohre. Das ist die sogenannte Latenz, das Antwortzeit-Verhalten. Und wenn ich ein autonomes System habe, also etwa autonome Fahrzeuge, ist das zunächst nichts Anderes, ich brauche nicht unbedingt den Millisekunden-Bereich, aber eine verlässliche Rückkopplung. Das ist das Schöne bei 5G. Viele Leute glauben immer noch, 5G sei lediglich ein schnelleres Internet, da wird oft die Dauer des Herunterladens eines Netflix-Videos verglichen. Das Besondere an 5G ist aber das sogenannte Network-Slicing. Vereinfacht gesagt bedeutet dies: Ich habe Sendemasten, mit denen ich aber dann für unterschiedliche Anwendungen in verschiedenen Konstellationen arbeiten kann: Mal brauche ich hohe Zuverlässigkeiten, mal brauche ich hohe Bandbreiten, dies kann ich mit einem einzelnen Sendemast durch dieses Network-Slicing erreichen.

Geringe Latenzzeiten, hohe Anzahl verbundener Geräte oder große Datenraten sind Ziele von 5G. Wie weit sind Sie denn mit der Demonstrationsfabrik, was passiert da zur Zeit?

Wir haben dort zum Beispiel einen autonomen Roboter, der über die IT-Systeme gesteuert wird und quer durch diese Fabrik fährt, ohne dass sich jemand um ihn kümmern muss. Er hat die unangenehme Angewohnheit, extrem langsam zu fahren, damit er bloß keinen verletzt. Das ist die Praxis heute. Wir geben nun diesem Roboter Sensorpunkte und informieren ihn, dass sich von links jemand der Fahrstrecke des Roboterfahrzeuges nähert. Daraufhin sollte das Fahrzeug sofort seine Geschwindigkeit herabsetzen. Wenn sich dieser Jemand dann abwendet und weggeht, könnte das Fahrzeug seine Geschwindigkeit wieder erhöhen. Wir haben das installiert und ausprobiert im Vergleich mit wireless LAN zu 5G und sind zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen.
SAM

Fraunhofer IPT

Erstes Ergebnis: Nur 5G garantiert eine stabile Verbindung und verliert niemals den Kontakt, wireless hat hingegen immer wieder kurzfristige Aussetzer.

Zweites Ergebnis: 5G stellt eine ganz stabile Grundversorgung dar, weil man nicht nur ein Gerät, sondern viele Geräte anschließen kann. Dem Sendemast ist es egal, wie viele Geräte da sind. Da wird es für Unternehmen interessant und insbesondere die Automobilindustrie arbeitet an entsprechenden Konzepten.

Diesen spezifischen Anwendungsfall haben wir mit unseren Partnern SICK und Ericsson im Rahmen des Forschungsprojekts 5Gang entwickelt. SICK ist ein Sensorhersteller und stellt auch Safety-Sensorik her, also Anwendungen, bei denen Menschen geschützt werden müssen. Das läuft heute weitgehend über Kabel-Schnittstellen. Wir entwickeln zum ersten Mal mit 5G eine kabellose Schnittstelle, die ein Safety-Signal überträgt. Der Laserscanner, der mit unserem autonomen Roboter spricht, ist ein solches Safety-Gerät.
Infrastruktursensor

CCI

Der Mittelständler verspricht sich von 5G die Steigerung seiner Produktivität. Wie kommen Sie da zusammen?

Es gibt drei Stufen.

Die erste ist die unverbindlichste. Wir berichten über konkrete Beispiele in einer möglichst verständlichen Sprache. Der Mittelständler will letztendlich eine funktionierende Lösung haben.

Der zweite Punkt: Der Mittelständler fragt uns, ob wir ihm dies einmal exemplarisch zeigen können. Deshalb haben wir in Zeiten ohne Corona mit vielen Besuchern Führungen gemacht, etwa fünf pro Woche. Es gab und gibt Anfragen aus NRW, aus Nord- und Süddeutschland, von kleineren und mittelgroßen Unternehmen bis zum großen Konzern.

Die dritte Stufe mündet in die direkte Beratung und Unterstützung vor Ort, nachdem sich ein Unternehmen entschieden hat, mit 5G zu arbeiten. Dieser Fall ist zur Zeit aber noch eher selten, die Unternehmen zögern mit der Einführung aus den unterschiedlichsten Gründen.

Gibt es ein Beispiel für bereits erfolgte konkrete Beratung?

Ja, wir waren tätig für einen OEM aus Süddeutschland. Wenn dieses Unternehmen 5G einsetzen würde, könnte es alle möglichen Kommunikationsstandards durch einen einzigen potenziellen Standard ersetzen. Es gäbe keine kabelgebundene Kommunikation mit WLAN und Qualitätskontrolle mit Bluetooth mehr, sondern einen Standard, der das alles beherrscht und die Kabel komplett ersetzt. Damit erreicht man eine völlig andere Flexibilität in der Montage. Man könnte auch viel schneller auf Marktänderungen reagieren und so z.B. die Montage in kurzer Zeit flexibel umbauen. Das wird in unserer Demonstrationsfabrik auf dem Campus mit flexiblen Montagestationen demonstriert und verprobt.

Oder das Beispiel Bosch, Bosch installierte in einer seiner Fabriken hunderte von Mikrofonen, um schnell zu erfahren, wo eine Maschine in eine Problemphase kommt oder sogar auszufallen droht. Diese Mikrofone miteinander zu verbinden, ist mit gängigen Kommunikationsstandards nicht möglich, jedoch aber mit 5G.

Außerdem ist 5G auch noch energieeffizient. In jedem Mikrofon muss man nur alle zehn Jahre die Batterien wechseln.

Und das autonome Fahren?

Autonomes Fahren können wir derzeit nur in geschützten Bereichen üben. Wir machen das momentan zusammen mit der Spedition Hammer auf deren Logistik-Campus in Eschweiler. Die Sicherheit bei den autonomen Fahrzeugen ist schon relativ hoch. Aber wie interagieren solche Fahrzeuge mit nicht autonomen Fahrzeugen? Hätte man einen Innenstadt-Bereich nur für autonome Fahrzeuge abgetrennt, gäbe es deutlich weniger Probleme als bei den heutigen Gemischtkonzepten. Das kaum beherrschbare Problem entsteht, wenn ein autonomes Fahrzeug zwischen nicht autonomen Fahrzeugen fährt.

Ein weiterer Punkt ist, dass die Anrainer oftmals behaupten, die Strahlung mit 5G sei gesundheitsschädlich und deshalb im Innenstadtbereich unbedingt zu vermeiden. Hier wird zum Teil maßlos übertrieben und wenig substantiell diskutiert. Beim Uniklinikum Aachen gibt es langjährige Untersuchungen und Analysen dazu sowie inzwischen die größte Datenbank zur Untersuchung von Auswirkungen von 5G auf den menschlichen Organismus.

Sprechen wir über kleine und mittlere Unternehmen. Wo stehen wir bei der nutzerorientierten Entwicklung in Deutschland?

Da sind wir sehr gut aufgestellt. Im internationalen Vergleich sind wir fast die einzigen, die für die Industrie Plätze freihalten und Unternehmen den Spielraum lassen, für ihren Bereich und für wenig Geld Frequenzen zu ersteigern und dann im eigenen Bereich tun und lassen zu können, was man will. Man kann ein eigenes Netz aufbauen oder etwas gemeinsam mit der Telekom oder einem anderen spezialisierten Anbieter aufbauen. Diesen Weg, Lizenzen nicht nur an die großen Mobilfunkbetreiber zu geben, gibt es nicht in vielen Ländern. Das wird ein großer Innovationsmotor in Deutschland sein.

Wir haben zudem von den drei größten weltweit agierenden Großanbietern, also Ericsson, Nokia und Huawei, zwei in Europa. Mit denen arbeiten wir auch eng zusammen. Dem Anwender aus dem Mittelstand ist aber oft noch nicht der Unterschied zwischen dem Verbrauchernetz, also Telekom, Vodafone und so weiter, und dem privaten Industrienetz klar. Wir sind mit unseren Partnern inzwischen in der Lage, ein 5G-Netz aufzuspannen, mit dem wir vor Ort für ein oder zwei Tage prüfen können, welche Möglichkeiten 5G für einzelne, individuelle Unternehmen hätte.

Aber der Mittelstand wird oftmals immer noch irritiert nach dem Motto: Bevor Sie 5G einführen, warten Sie ruhig den neuen Wireless-LAN-Standard oder gar 6G ab, der kommt irgendwann!

Damit wird eine supergute Technik kaputt geredet. Hier wird unnötigerweise Unsicherheit geschürt.

Wird also die Dimension der Technologie noch unterschätzt?

Wir müssen immer wieder betonen, dass es bei 5G nicht nur um den Übertragungsstandard geht, sondern um eine komplette Innovation in der Netzwerktechnik. Wir haben sieben Jahre lang von Industrie 4.0 gesprochen. Wir haben geglaubt, dass dies nichts Anderes ist als eine neue Form der Anbindung an irgendwelche Netzwerke. Wir haben in den letzten zwei Jahren jedoch gelernt, dass es Unternehmen deshalb nützt, weil diese Konnektivität existiert, also man an Daten herankommt, die man in Echtzeit sehr verlässlich verarbeiten kann, um sie in neue Businessmodelle umzusetzen. Immer mehr reden von Daten als Assets eines Unternehmens. Wir brauchen also eine Technologie, die erstens immer ultraverlässlich zur Verfügung steht und zweitens müssen derartige Netzwerke auch in der Lage sein, riesige Mengen an Daten sicher zu transferieren, diese Daten aufzubereiten und so eventuell neue Geschäftsmodelle zu kreieren.

Wie kann ein kleiner Unternehmer jetzt ein solches 5G-Netz aufbauen?

Mit unserer Hilfe, weil wir drei Dinge tun:

Erstens machen wir mit dem individuellen Unternehmen eine sogenannte technische Feasibility-Studie, also fragen, ob das Unternehmen überhaupt die nötigen Voraussetzungen hat.

Zweitens entwerfen wir gemeinsam einen individuellen Projektplan, in welchen Schritten das Unternehmen welche Hausaufgaben lösen muss, um sich auf die Transformation vorzubereiten. Da geht es unter anderem um Dateninfrastrukturen, Datenmodelle und eine oftmals ausgesprochen heterogene IT-Landschaft, denn Unternehmen haben schnell ca. zwanzig unterschiedliche IT-Systemanwendungen.

Wenn wir diese Digitalisierungs-Roadmap erstellt haben, machen wir das Dritte: die business-case-calculation. Was kostet das Ganze und was bringt es? Dazu haben wir ein eigenes Verfahren entwickelt.

Und warum sollte auch der kleine Unternehmer in 5G investieren?

Weil sich durch 5G eine erhebliche Produktivitätssteigerung realisieren lässt. Heute liegt die Auslastung unserer Produktionsanlagen im Schnitt nur bei 50 Prozent. Nicht, weil wir es nicht besser können, sondern weil wir es nicht besser wissen, weil wir kein Echtzeit-Feedback haben. Wenn eine Maschine ausfällt, dann brauchen wir heute relativ lange, bis im Produktionsplanungssystem klar ist, dass die Maschine tatsächlich ausgefallen ist. Danach brauchen wir wieder sehr lange, ehe wir wissen, warum die Maschine ausgefallen ist. Hinzu kommt dann die sogenannte Entscheidungslatenz, was wir tun müssen und die Zeit, bis z.B. das benötigte Ersatzteil tatsächlich vor Ort ist und eingebaut werden kann.
Wir brauchen also enorm lange. Hätten wir 5G, dann könnte ich heute den Bruch der Maschine schon voraussagen, das Ersatzteil bestellen und die Maschine sofort reparieren, wenn sie tatsächlich kaputtgeht. Der Hauptnutzen liegt in der Reduktion der Latenzzeiten und damit in einer massiven Erhöhung der Produktivität.
Die Potenziale sind gigantisch, heute sehen wir erst die Spitze des Eisbergs. Auf uns ist ein Hersteller von Landmaschinen zugekommen, der die Erntemaschinen revolutionieren will. Die wollen nicht immer größere, sondern durchaus kleinere Maschinen für Bauern mit kleineren Feldeinheiten haben. Dafür braucht man auf dem Land eine Technik wie 5G. Wir haben eine Plattform geschaffen, mit der die Agrar-Industrie 5G flächendeckend einsetzen kann.

Ehrlich: Ist Aachen auch bei 5G Spitze?

Wir sind hier in Aachen zur Zeit der größte durchgängige 5G-Campus Standort in Europa. Wir haben den Vorteil, dass durch ihre Immatrikulation auf dem RWTH Aachen Campus die großen Player Ericsson, Telekom und Vodafone schon da sind. Was beweist: Wir haben schon eine Wirkung aus Aachen heraus, die uns so manchmal im Tagesgeschäft gar nicht bewusst ist.
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